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An Bord "Esso Hamburg" - Part - 1
Aus Esso Magazin nr. 2 - 1981
Part - 1
Eine Viertel Million Tonnen öl kann die »Esso Hamburg«, ein moderner VLCC (very large crude carrier) laden und von
den Fördergebieten, die oft weit entfernt sind von den Verbrauchszentren, zu den Abnehmern transportieren. Unvorstellbar
groß ist dieses Schiff - fast 350 Meter lang und mehr als 50 Meter breit. Mit modernen Lade- und Löscheinrichtungen,
mit Bordcomputer, mit zuverlässiger Technik ausgestattet, wird es von einer 25köpfigen Mannschaft gefahren. Was
sind das für Menschen, die dafür sorgen, daß der Olstrom für uns nicht abreißt? Dieser Frage ging der Journalist Peter
Sartorius während eines Aufenthaltes an Bord der »Esso Hamburg« nach. Die folgenden Auszügen aus seinem Bericht,
den er für die Süddeutsche Zeitung schrieb, geben seine ganz persönlichen Eindrücke von dieser Reise in den Persischen
Golf wieder.
Tanker an dem größten Ölhafen im persischarabischen Golf. Pier vor Ras Tanura.
(Esso-Foto)
Backbord voraus also liegt Ras al Ju'ay-mah. Ein Name, in dem etwas vom Zauber aus Tausendundeiner Nacht mitschwingt.
Aber in Wirklichkeit ist Ras al Ju'aymah ein gewaltiges Tanklager für Rohöl und eine noch gewaltigere Fabrik zur
Verflüssigung von Erdgas, aus der beim Abfackeln Flammen hochschlagen, die nachts wie eine lange Kette orangeroter
Ausrufezeichen am Horizont stehen.
Für die gut zwei Dutzend Besatzungsmitglieder der »Esso Hamburg" ist Ras al Ju'aymah indes noch etwas anderes. Für
den gerade zugestiegenen Decksmann Fromme etwa, der mit seinem verwegen geknüpften Kopftuch, seinen bizarr
tätowierten Armen und dem zierlichen Ohrgehänge so aussieht, als wolle er sich als Komparse in einem Korsaren-film
verdingen, ist Ras al Ju'aymah der Beginn eines zähen Countdowns von vier oder mehr Monaten Dauer, den wiederum
der ölverschmierte Chief Bodo Ohlfest schon zu mehr als drei Viertel hinter sich gebracht hat. Für andere ist Ras al
Ju'aymah vor allem schwüle Hitze von mehr als 40 Grad im Schatten, die den Schweiß gleich literweise aus dem
Körper saugt und die selbst das Interesse an den träge um das Schiff streichenden Haifischen erlahmen läßt.
Für Elmar Hüttenmeister hingegen besteht Ras al Ju'aymah hauptsächlich aus einer dümpelnden Boje, die von seinem
Monster von Schiff in behutsamen Manövern angelaufen werden muß, und aus einem Liegeplatz, an dem ihn aufgeregte
Depeschen von Mister White vom New Yorker Dispatch erreichen.
Klaus Wohlfeil wiederum sieht in Ras al Ju'aymah einen steten ölfluß, der sich aus zwei fettig glänzenden, gewaltigen
Knackwurstringen ähnelnden Schlauchleitungen über die Manifolds, die Verteilerstutzen an Deck, in den Bauch des
Schiffes ergießt, und eine mathematische Fleißaufgabe, die sich in verkürzter Fassung so stellt: Wie viele Tonnen Arab
Medium darfst du unter Berücksichtigung der 57 950 Tonnen Maja Crude, die du schon an Bord hast, noch zuladen, um
mit einem Tiefgang von höchstens 64,6 Fuß (19,7 m) die Singapurstraße zu erreichen, wobei du mitrechnen mußt, daß
du bis zu der kritischen Stelle 16,8 Tage unterwegs sein wirst und einen täglichen Bunkerölverbrauch von 65 Tonnen hast?
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In Ras al Ju'aymah - dort wo 1937 zum erstenmal ÖL in Saudi-Arabien gefunden wurde - beginnt die Reise.
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Also: Für das Schiff ist Ras al Ju'aymah navigatorische Feinarbeit, eine Sache für Schweißtücher und eine Angelegenheit
für Taschenrechner. Für mich, den Gast auf dem Supertanker, ist Ras al Ju'aymah außerdem ein Stück aufregender
Historie. Irgendwo dort am Horizont, wo das stumpfe Blau des Himmels zusammenfließt, ist vor einem knappen halben
Jahrhundert der amerikanische Mineningenieur Max Steineke mit einem Team schweißdurch-tränkter, an Magenschmerzen,
Furunkeln und Augenflimmern leidender Techniker durch die Wüste gezogen, und kein noch so deprimierender Fehlschlag
konnte ihn von der Überzeugung abbringen, daß es hier öl geben müsse.
Er suchte zwei Jahre vergebens, und es ist überliefert, daß Dammam Nummer Sieben, die siebente Bohrung auf einem
Hügel südlich von Ras al Ju'aymah, von ihm als Bohrloch der letzten Chance angesehen wurde. Am Silvestertag 1937
»explodierte« das Loch. Max Steineke hatte in Saudi-Arabien einen ganzen Ozean von öl angebohrt.
Der Rest ist bekannt. Heute ist der persisch-arabische Golf so etwas wie die Armbeuge des Erdballs, übersät mit Einstichen
zur Entnahme des Lebenssaftes für die Menschheit, und Elmar Hüttenmeister ist einer der Spediteure, die das schwarze
Blut der Erde zu den Großabnehmern transportieren.
Propeller-Ducte verstärken die Schubkraft und helfen Brennstoff sparen.
(Esso-Foto)
Elmar Hüttenmeister macht den Eindruck eines Energiebündels, und er hat sehr wache, gescheite Augen. Aber darf ein
Kapitän kurze Hosen tragen? Kann das überhaupt sein, daß der »Alte« so jung, so
jungenhaft ist? Darf es sein, daß einem Mann diese immense Verantwortung übertragen wird, die auf den Masters der
Tankschiffe lastet, seitdem diese so monströs geworden sind, daß ihre Ladung bei einer Havarie ganze Küstenstriche
verseuchen kann?
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Tankerkapitäne tragen eine Riesenverantwortung. Sie müssen das Verhalten ihres Schiffes unter den verschiedenen
Bedingungen genau berechnen können.
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Elmar Hüttenmeister ist also der Master, der bei dem kleinsten Fehler die Pest über die Menschen bringen kann. Er ist
gerade vierzig Jahre alt. Aber ist das Alter so wichtig? Vielleicht ist bei ihm der Koloß von Schiff in besseren Händen als
bei einem der altgedienten, in Ehren ergrauten Kapitäne, die zwar die Weltmeere wie ihre eigene Hosentasche kennen,
aber keineAnaly-tiker sind. Und so einer ist dieser Elmar Hüttenmeister. Das Imponierende an ihm ist nicht so sehr, daß
er zu wissen glaubt, was andere falsch gemacht haben. Hinterher ist man immer klüger. Beeindruckend ist vielmehr,
daß er jedes Detail eines Unglücks im Kopf hat, daß er ganz offenbar Havarien anderer Tanker mit der gleichen Akribie
studiert hat, mit der er auf Millimeterpapier in immer neuen Kurven die Abhängigkeiten von Masse, Geschwindigkeit, Zeit
und Maschinenbelastung berechnet, um herauszufinden, wie sich im Wasser schwimmende Konservenbüchsen von
beinahe 300000 Tonnen Gewicht unter den unterschiedlichsten Bedingungen verhalten.
Am Anti-Kollisions-Radar lassen sich Position, Kurs und Geschwindigkeit anderer Schiffe ablesen und so
Zusammenstöße vermeiden. (Esso-Foto)
Solche Schiffe sind ja eigentlich keine Schiffe mehr. Ich bin im Rettungsboot einmal an diesem Gebirge aus Stahl
entlanggefahren, und erst als wir uns weit abgesetzt hatten, konnte ich das Schiff in seiner ganzen Unförmigkeit übersehen.
Es ist beinahe 350 Meter lang, und im Leerzustand schwimmt es wie eine Badewanne auf dem Wasser. Wenn es dann
mit 250 000 Tonnen öl beladen ist, sieht es aus wie ein Eisberg, auf den achtern jemand ein blendend weißes Fabrikgebäude
gestellt hat. Dort ragt der Brückenturm auf, ein sechsstöckiger, hinten terrassenförmig abfallender Bau mit Kammern,
Messen und Kontrollräumen voller Computer.
Und darunter befindet sich die Maschine, ein kreischendes Turbinenkraftwerk, das genügend Strom produzieren könnte,
um damit eine mittlere Kleinstadt zu versorgen. Aber diese Energiestation pumpt ihre ganze Kraft, beinahe 32000
Pferdestärken, in einen stählernen Baumstamm von Welle, an deren Ende sich die Schiffsschraube etwa jede
Dreiviertelsekunde einmal dreht und mit jeder dieser Umdrehungen das Stahlungetüm sechseinviertel Meter durchs Wasser
schiebt.
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Vier Monate oder länger sind die Seeleute an Bord des Schiffes. Landgänge gibt es in der modernen Tankerfahrt kaum noch.
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Was wird da eigentlich geschoben? Nur eine gigantische Konservenbüchse mit einem Kraftwerk hintendran? Nicht vielleicht
auch ein Gefängnis mit modernem Strafvollzug? Wenn du einer von den Pie-pels an Bord bist, dann bist du vier Monate oder
mehr eingesperrt in diesem weißen Kasten über der Maschine. Und wenn du deine Wachen oder deine Schicht hinter dich
gebracht hast und Feierabend ist, dann ist alles, was dir bleibt, deine Kammer oder die Wachstuchgemütlichkeit des
Aufenthaltsraumes, wo du am Flipper spielen oder dir immer von neuem die Videobänder von Fernsehfilmen angucken und
eine oder zwei von dir pro Tag zustehenden drei Betteln Bier leeren kannst. Und vielleicht denkst du ein bißchen darüber
nach, warum du das alles mitmachst. Daran, daß du in alle Winkel dieser Welt kommst, kann es nicht liegen, denn diese
Winkel sind, so wie Ras al Ju'aymah, nicht viel mehr als abstrakte Begriffe. Frag' mal den Chief Bodo Ohlfest, wie dessen
letztes Vierteljahr ausgesehen hat. Sie haben ihn vor dreieinhalb Monaten vor Kapstadt im Helikopter an Bord gehievt und er
hat sich alsl.IngenieurindieMaschineverkrochen, bis das mit arabischem öl randvoll geladene Schiff den Atlantik passiert
hatte und seine flüssige Fracht irgendwo an einer Boje Dutzende von Meilen vor der texani-schen Küste löschte. Dann ist
BodoOhlfest mit dem leeren Schiff in die paradiesisch schöne Inselwelt der Karibik gedampft, nach Aruba, wo 57950 Tonnen
mexikanisches öl, Maja Crude, an Bord genommen wurden, und Bodo Ohlfest hat dort tatsächlich ein paar hundert Meter zu
Fuß an Land zurückgelegt-den Weg zum Schiffsagenten, bei dem er etwas Dienstlicheszu erledigen hatte. Das war dann
aber auch schon das bisher letzte Mal,daßerHäuser, Bäume, fremde Menschen gesehen, etwasanderes als öl gerochen,
etwas anderes als den Lärm der Maschine gehört hat. Denn seitdem befindet er sich wieder unter Deck, immer einen Blick
auf Muskeln undAdern, ein Ohr an Herz und Nieren des gewaltigen gußeisernen Organismus, den er zu überwachen hat.
Jetzt also liegt er nach einer erneuten Atlantiküberquerung vor Ras al Ju'aymah, und wenn das Schiff beladen worden ist,
soll esdurchdieSingapurstraße nach Kawasaki, Japan, gehen. Wenn Bodo Ohlfest Pech hat, wird erdort auch nichtan Land
kommen, weil es vielleicht nurwieder eine Boje gibt.
Die Brücke eines Tankers ist vollgestopft mit elektronischen Geräten.
Also frag' Bodo Ohlfest, warum er das macht. In seiner wortkargen Art wird er dir antworten: Erstens, weil er von der Pike
auf gelernt hat, mit einer Schiffsmaschine umzugehen und es ihm darum schwerfallen würde, an Land etwas Entsprechendes
an Arbeitsplatz zu finden, und zweitens, weil er nach vier oder mehr Monaten an Bord anderthalb Monate Urlaub machen und
in dieser Zeit viel intensiver leben kann als die von Land. Was Bodo Ohlfest nicht sagt, vielleicht weil es ihm gar nicht bewußt
ist, ist dies, daß er sich vermutlich hundeelend fühlen würde, wenn er nicht mehr zwischen Kessel, Kondensator und Turbine
auf den Grätingen herumturnen könnte. Irgendwie nämlich ist Bodo Ohlfest ein Teil der Maschine geworden.
Themenwechsel, Szenenwechsel. Raus aus der Maschine und hinauf in Richtung Brücke. Früher einmal waren die Brücken
schöner Schiffe beherrscht von kupferbeschlagenen, wagenradgroßen Rudern. Sie waren das Symbol des Stolzes auf die
Kraft und Herrlichkeit des Schiffes. Auf dem Tanker mit seinen Computerkonsolen ist hingegen das Ruder verkümmert zu
einem unauffälligen, schmucklosen, die meiste Zeit überflüssigen Ding etwa vom Umfang eines Autosteuerrades.
Anzeigentafel zu r Überwachung der Laderäume, mit der beim Laden und Löschen die jeweilige Füllung der
einzelnen Tan kabteilungen überwacht und gesteuert wird.
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Die New Yorker Zentrale koordiniert die Fahrten der Esso-Schiffe. Von dort kommt Order wann wohin zu fahren ist, wieviel
von welchem öl geladen werden soll.
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